Auszüge aus einem Interview des «Spiegel» mit Chalmers Johnson, Politikwissenschafter an der Universität Berkeley, während des kalten Krieges Berater des CIA.
Spiegel: War das, was in New York und Washington passierte, der «Clash of Civilizations»?
Johnson: Nein, das glaube ich nicht. Es war wohl eher das, was ich in meinem Buch «Blowback» beschrieben habe, in dem es um die Folgen der amerikanischen Empire-Politik geht. Terrorismus ist die Waffe der Schwachen.
Trauen Sie sich schon ein erstes Resumée zu?
Das Problem ist, dass eine ganze Reihe von Völkern uns Amerikaner von ganzem Herzen hassen und dass sie ein Motiv haben, Ungeheuerlichkeiten gegen Amerika zu begehen. Die USA dehnen ihre Macht bis in den letzten Winkel der Erde aus und zwingen den entlegenen Völkern ihr Wirtschaftssystem auf. Ohne Rücksicht auf Schäden, die sie damit anrichten. Selbst unsere Bündnisstaaten aus den Zeiten des kalten Krieges behandeln wir noch immer wie Protektorate. [...]
Was ist jetzt die Aufgabe der Politik?
Wir sollten mit den Provokationen aufhören, und wir sollten uns aus Staaten wie Saudi-Arabien zurückziehen. Unsere Streitkräfte haben 65 grosse Stützpunkte in anderen Ländern. Das ist doch auch eine Form von Imperialismus.
Die Regierung in Washington sagt, sie erfülle damit internationale Verpflichtungen.
Nein, die Vereinigten Staaten sind unzuverlässig gegenüber internationalen Verträgen, gegenüber den Vereinten Nationen, selbst gegenüber der Rassismusfrage, wie sich wieder auf der Konferenz von Durban gezeigt hat. Die Welt bietet den unterdrückten Völkern zurzeit nicht viel Hoffnung. Und es ist die Hoffnungslosigkeit, die Menschen zu solch fanatischen Handlungen wie in New York treibt. [...]
Wird sich Amerika militärisch einigeln?
Ich weiss nicht. Aber unsere Regierung ist fanatisch, sie ist versessen auf Raketen, auf die Dämonisierung von China und Nordkorea. Sie muss endlich zu mehr Rationalität in der Politik zurückfinden.
Glauben Sie auch, dass bin Laden für die Attentate verantwortlich ist?
Kann sein, aber bedenken Sie, dass die Vereinigten Staaten allein auf Okinawa immerhin 38 Militärbasen haben &endash; was nicht heisst, dass ich Okinawa verdächtige. [...]
Ich fürchte, die amerikanische Öffentlichkeit wird aus dieser Katastrophe die falschen Schlüsse ziehen.
Welche Schlüsse?
Sie wird eine Militarisierung des öffentlichen Lebens verlangen. Sie wird von der Politik erwarten, dass sie noch mehr Gewalt gegen Leute anwendet, die uns hassen und die wegen unserer globalen Hegemonialpolitik nicht selten Grund haben, uns zu hassen. Wir sollten uns fragen: Wo müssen wir denn wirklich militärisch präsent sein auf der Welt? Können wir uns nicht bemühen, weniger Leuten auf der Welt einen Grund zu geben, wütend auf uns zu sein? [...]
Brauchen wir nicht auch mehr internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus?
Ja, aber wir brauchen nicht mehr Polizei und mehr Nato-Einsätze. Was wir dringend brauchen, das ist mehr gute Diplomatie.
Quelle: Der Spiegel vom 15.9.2001
Al Andalus
http//www.zeit-fragen.ch