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12.01.2003 22:59
Besuch in Palestina: Augenzeugenbericht Antworten

Die Kolonisierung Palästinas - Augenschein in zwei Dörfern

Von Shraga Elam

Yanoun ist ein kleines palästinensisches Dorf im Distrikt Nablus in der von Israel besetzten Westbank, eingebettet in eine monotone, stellenweise felsige Hügellandschaft. Der fremde Besucher, der vom benachbarten Aqraba her auf der stillen Strasse schreitet, blickt rechts in das tief unten gelegene Jordantal und gewahrt gebannt die unzähligen Olivenbäume, welche die ganze Landschaft bedecken. Eine unglaubliche Faszination geht von diesem Anblick aus. Irgendwo bewegt sich eine Schafherde unter den Bäumen und in den flachen Abschnitten zwischen den Hügeln breiten sich Äcker aus.

Yanoun umfasst zwei Dorfteile, den unteren und den oberen. Dazwischen liegt ein kleines Tal, durch das ein holperiger Fahrweg führt. 16 Familien wohnen noch hier, acht unten, acht oben, insgesamt rund 90 Menschen. Früher waren es 300, Yanoun wird langsam entvölkert.

Die jüdische Siedlung Itamar auf den Höhenzügen rings um das Dorf hat sich nämlich vor fünf Jahren ein Vorposten der israelischen Siedlung Itamar etabliert. Ihre Wohncontainer, ein Beobachtungs- und ein Wasserturm, ihre Ökonomiegebäude sind von weitem zu sehen und kreisen Yanoun regelrecht ein. Die Siedler sind Anhänger der ehemaligen Kach-Partei und in ihrem religiösen Eifer und ihrem Hass auf die Palästinenser besonders gefährlich. Sie scheinen nur ein Ziel zu verfolgen, die einheimische muslimische Bevölkerung zu verdrängen und das gesamte Kulturland des Dorfes in Besitz zu nehmen.

Wenn sie vom Frieden zwischen Palästinensern und Israel reden, meinen sie ethnische Säuberung.

Eine internationale Gruppe auf Informationstour Am späten Vormittag des 30. Dezember 2002 trifft sich eine Gruppe Leute im unteren Dorfteil. Ein Team des "International Women's Peace Service" (IWPS) hat zusammen mit dem "International Solidarity Movement" (ISM) zu dieser Zusammenkunft eingeladen. Frauen und Männer aus verschiedenen europäischen und nordamerikanischen Ländern bilden diese Organisationen.

Während der israelischen Besetzung wollen sie mit den Bewohnern verschiedener palästinensischer Dörfer zusammen leben, die Härte, mit der die Besatzungsmacht ihr Leben einschnürt, dokumentieren und der einheimischen Bevölkerung im Widerstand gegen die Aggressivität der Siedler Unterstützung und Zeichen der Solidarität geben.

Der Einladung sind an diesem Tag die Frau des österreichischen Botschafters in Israel gefolgt, ein Vertreter des französischen Konsulates in Jerusalem, eine Vertreterin des eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten bei der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah und der Schreiber dieses Berichtes, der sich gerade auf einer mehrtägigen, privaten Reise in Israel und den besetzten Gebieten befindet.

Das Recht des Stärkeren

Nach der Begrüssung durch eine der IWPS-Frauen portraitiert der Bürgermeister, Abdel Latif sein Dorf. Er streift dessen Geschichte und die Besitzverhältnisse des Kulturlandes. Unterdessen lässt einer der ISM-Vetreter aktuelle Fotos zirkulieren, auf denen der von Siedlern zerstörte Wassertank im oberen Yanoun zu sehen ist, und wie diese mit umgehängtem Gewehr und aufgesetztem Helm einen beschlagnahmten Acker mit Traktor und angebauten Geräten bearbeiten. Man erfährt, dass sie den Stromgenerator zerstörten, um den Leuten ein normales Leben zu verunmöglichen und um sie verwundbarer zu machen. Mit UNO-Hilfe ist inzwischen ein neuer Generator installiert worden und um die Präsenz dieser Institution auch den Siedlern kundzutun, hat man das kleine Gehäuse blau angemalt und mit den Grossbuchstaben UN versehen.

Aber nicht nur auf die Infrastruktur des Dorfes haben es die Siedler abgesehen, auch die Bewohner sind ihren Attacken ausgesetzt. Es gibt kaum eine Familie, welche ihre brutale Gewaltbereitschaft nicht schon hat bitter erfahren müssen. Was wir vorgetragen bekommen, ist erschreckend, klingt aber glaubhaft. Der Bürgermeister ist in den vergangenen fünf Jahren mehrere Male physisch attackiert worden. Eine Frau wurde von Steinwürfen der Siedler getroffen, als sie versuchte, ihr Kind mit dem eigenen Körper zu schützen. Einem Mann brachen sie die Beine und ein Schuss zerstörte sein rechtes Auge; ein Schafhirte wurde geschlagen, drei seiner Schafe erschossen. Zwei Männer mussten sich mit dem Gesicht nach unten auf die Erde legen, dann hieb man mit Steinen gegen ihren Kopf. Als der eine versuchte zu fliehen, schossen sie ihm ins Schienbein, so verletzt wankte er blutend nach Aqraba zurück.

Am 6. Oktober 02 wurde der 22-jährige Hani Bani Maniyah, ein Einwohner aus Aqraba beim Olivenpflücken von Siedlern aus dem Hinterhalt erschossen. Die israelische Menschenrechtsgruppe B'Tselem klagte die Itamarsiedler ein. Die Polizei nahm einen Tatverdächtigen fest und befragte einige andere. Sie beschlagnahmte ein paar Waffen, liess den Festgenommenen aber nach wenigen Stunden wieder frei und stellte die Untersuchung ein. Auch die internationalen Beobachter leben gefährlich; am 27. Oktober 02 wurden fünf von ihnen von Siedlern mit Schlägern und Gewehrkolben angegriffen.

Am 13. Dezember 02 tauchte eine 17-köpfige Siedlergruppe im unteren Yanoun auf. Zufälligerweise befand sich gerade ein Kamerateam des italienischen Fernsehens auf Reportagetour im Dorf, ihre Anwesenheit bewog die Angreifer zum Rückzug. Nach kurzer Zeit tauchte eine Streife der israelischen Polizei auf. Aber statt den Absichten der Siedler nachzugehen und den Schutz der Dorfbewohner sicherzustellen, befragte sie nur eingehend das Kamerateam nach dem Grund seiner Anwesenheit und was sie gefilmt hatten.

Im oberen Dorf erwarten uns weitere ISM-Leute und eine Gruppe einheimischer Männer und Frauen. Sie zeigen auf die Ruinen eines Hauses. Die israelische Armee hat es in die Luft gesprengt, weil es ohne ihre Einwilligung erbaut worden war. Yanoun liegt in der Zone C. Den Palästinensern dort ist die Errichtung neuer Häuser auf eigenem Land strikt verboten; für jüdische Siedler gilt diese Einschränkung nicht. Jenseits der Hügel, hinter dem Itamar-Vorposten, liegen weitere zum Dorf gehörende Olivenfelder. Die Siedler erlauben aber die Durchquerung ihres Territoriums nicht, die Ernte dieses Spätherbstes ging verloren. Insgesamt konnte deswegen nur ein Bruchteil der üblichen Menge eingebracht werden.

Einmal drangen während der Al-Aqsa Intifada palästinensische Attentäter in die Siedlung Itamar ein. Bei diesem Überfall wurden 11 Menschen getötet. Auf die Frage, ob man die derzeitigen gewalttätigen Aggressionen als Strafaktion auf diesen Anschlag zu verstehen habe, gab der Bürgermeister zu bedenken, dass der Druck des Siedlervorpostens schon seit fünf Jahren bestehe, also weit vor der Intifada seinen Anfang genommen hatte und die Attentäter nicht aus seinem Dorf gekommen waren.

Land- und Ernteraub in Yasouf

Ungefähr das selbe Bild am Nachmittag in Yasuf, einem Dorf im Distrikt Salfit. Die Fahrzeuge der internationalen Besuchergruppe können nicht in das Dorf hineinfahren, weil die Strasse an zwei Stellen aufgerissen und mit Erdwällen auf der ganzen Breite überschüttet ist. In kurzer Entfernung erblicken wir die ersten Häuser der jüdischen Siedlung Tapuah auf einer Anhöhe, ihre Bauten und Felder erstrecken sich in einem leichten Halbkreis über zwei Hügelzüge und einer Senke dazwischen. Von dort fällt das Gelände in flacheres Gebiet ab, wo ausgedehnte Olivenfelder der Dorfbewohner von Yasouf liegen. Wir werden vom Bürgermeister und seiner Delegation ausserhalb des Dorfes begrüsst, steigen zu Fuss über die beiden Hindernisse und setzen uns auf der anderen Seite in wartende Fahrzeuge.

Im Hause eines der Notabeln erzählt man uns, dass die Dorfbewohner versucht haben, die erste Strassenblockade mit Pickeln und Schaufeln wegzuschaffen. Zur Strafe errichtete die israelische Armee gleich eine zweite. Yasouf zählt etwa 1800 Einwohner, es gibt eine Hebamme im Dorf, aber keine Ärztin, keinen Arzt. Alle Lebensbereiche werden durch die Blockade massiv behindert, Handel und Gewerbe liegen darnieder, die Arbeitslosigkeit ist praktisch total, insgesamt haben nur ein paar Dutzend Leute einen gewissen Broterwerb. Lehrer, Schüler und Studenten erreichen ihre Bildungsstätten nicht, Kranke können nicht oder nur mit starker Verzögerung und unter mühseligen Anstrengungen in ein Spital ausserhalb gelangen.

Die IWPS-Frauen berichten, wie sie vor Wochen Augenzeuge von Zusammenstössen mit den Tapuah-Siedlern geworden sind, welche sich unter dem Schutz von Gewehren über die reifen Oliven von Dorfbewohnern hergemacht hatten. Fast jede Familie besitzt eine Anzahl Olivenbäume und Mohammed Obeid, einer der Eigentümer, versuchte drei Tage lang in wiederholten Anrufen die israelische Besatzungsbehörde auf die Bedrohung und den Diebstahl aufmerksam zu machen. Wie ihn die Polizei hinhielt ("..Ihr Standort ist uns nicht bekannt") und erst reagierte, als eine der IWPS-Frauen sich einschaltete, hört sich unglaublich an. Als sie schliesslich am Eingang von Tapuah eintraf, wies sie nicht etwa die Siedler in Schranken, sondern schickte nur die dort wartende Männergruppe aus Yasouf weg, dann zog sie sich zurück. Dem Teammitglied von IWPS rissen die Siedler den Rucksack weg und raubten die Kamera. Sie klagte bei der Polizei, fand dort aber keine Unterstützung. Der israelische Menschenrechtsaktivist Rabbi Arik Ashermann organisierte daraufhin eine Hilfegruppe, um die Olivenernte doch noch zu ermöglichen. Etwa 25 israelische Frauen und Männer leisteten seinem Aufruf Folge, es kam zu Handgreiflichkeiten, und wiederum reagierte die Polizei wie zuvor, sie drängte die gewaltfreien Demonstranten zurück und liess die bewaffneten Siedler unbehelligt gewähren.

Dank der Präsenz der zivilen Hilfsorganisationen konnten schliesslich doch etwa 50 % der Ernte eingebracht werden. Aber ein Erlös ist damit noch nicht gesichert, denn das Öl muss erst verkauft werden, was infolge der israelischen Blockaden und Schikanen äusserst erschwert ist. Wie die Siedler aus Itamar bedienen sich auch die aus Tapuah des Faustrechts und haben den Dorfbewohnern nur gerade drei Tage gegeben, auf den Feldwegen in die jenseits ihrer Siedlung gelegenen Olivenhaine zu fahren, um dort abzuernten, eine viel zu kurz bemessene Zeit. Im Dorf breitet sich die Armut immer mehr aus, das Bürgermeisteramt organisiert die Sozialhilfe und verteilt, was an auswärtigen Sponsorengeldern hereinkommt. Die Diskussion mit der Besuchergruppe dreht sich dann um den Kulturlandbesitz. Die Männer legen mehrere Karten und Pläne mit eingezeichneten Grundstückgrenzen auf und alle sind sich einig, dass die Wichtigkeit dieser Dokumente nicht zu überschätzen ist, wenn der Landraub der Siedler bei einem ordentlichen Gericht vielleicht einmal eingeklagt werden kann.

Das rechte Auge der israelischen Justiz ist blind. Die ausländischen Besucher sind in beiden Ortschaften mit grosser Gastfreundlichkeit empfangen worden. Die palästinensische Bevölkerung weiss, dass sie nur mit Hilfe der internationalen Menschenrechtsorganisationen und der israelischen Friedensbewegungen in ihrem Kampf um Gerechtigkeit bestehen kann. Sie wollen ihr Land und ihre Häuser nicht verlassen und sich der Gewalt und der Rechtlosigkeit nicht beugen. Aber der ständige Druck ist zermürbend. Dank der Anwesenheit der ISM-Aktivisten sind die Angriffe aus dem Itamar-Vorposten auf Yanoun zurückgegangen; einige Bewohner, die das Dorf in Richtung Aqraba und Nablus schon verlassen hatten, sind zurückgekehrt. Aber die Siedler agieren weiterhin ungestraft, sie bewegen sich in einem praktisch rechtsfreien Raum. Ihre uns geschilderten Übergriffe sind eindeutig kriminelle Handlungen und im strafrechtlichen Vokabular als Nötigung, Hausfriedensbruch, Aneignung fremden Eigentums, als Gewaltanwendung, Raub, als einfache und schwere Körperverletzung und als vorsätzliche Tötung, eventuell gar als Mord zu qualifizieren. Doch das scheint weder die Polizei, noch die Armee, noch die israelische Justiz zu kümmern. Palästinensische Behördenvertreter, die den Rechtsweg beschreiten, laufen auf, sie werden hingehalten oder abgewiesen.

Israel reklamiert für sich demokratische Rechtsstaatlichkeit, aber wer als Palästinenser die Einschnürung durch deren Besatzungsmacht und die Drangsalierung durch die Siedler am eigenen Leib erfährt und dieser Diskriminierung hilflos ausgesetzt ist, hält das für blanken Hohn. Sind nicht in der Art, wie die besetzten Gebiete kolonisiert wurden und werden, wie die einheimische Bevölkerung der Willkür der Siedler und der Rechtsbeugung der Besatzungsbehörden ausgesetzt ist, faschistische Züge erkennbar?

Vielleicht leben die Leute anderer palästinensischer Dörfer weniger gefährlich als die in Yanoun und Yasouf. Aber nach Berichten von IWPS und ISM zu schliessen, ist das Vorgehen der dortigen Siedler nicht grundsätzlich anders. Hier wie da fehlt der israelischen Besatzungsbehörde der Wille, den Dorfbewohnern Recht zu verschaffen, vielleicht, weil sie in der Verfolgung des einen Ziels mit den Siedlern gemeinsame Sache macht, durch wirtschaftliche Erdrosselung, durch die täglichen Demütigungen an den Sperren und Checkpoints und durch den andauernden Terror die einheimische Bevölkerung so zu zermürben und zur Resignation zu treiben, dass diese schliesslich das Land verlässt.

(Shraga Elam ist israelischer Recherchierjournalist, Buchautor und Friedensaktivist in Zürich).


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