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Dieses Thema hat 3 Antworten
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 Palästinaonline-Forum
satan Offline

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Beiträge: 511

30.12.2002 01:58
Zwei Zeitzeugen berichten aus Jerusalem und aus Bethlehem Antworten

Zuerst fragten wir Br. Thomas Geyer OSB, Prior der Abtei Hagia Maria ("dormitio") auf dem Mt. Sion in der Altstadt von Jerusalem. Br. Thomas ist Jahrgang 1935 und seit elf Jahren Mönch in Jerusalem.
- Danach fragten wir den zwanzigjährigen Marc Frings, der im Jahr nach seinem Abitur für dreizehn Monate nach Bethlehem ging, für ein freiwilliges Soziales Jahr. - Wie erleben die beiden den Krieg und vielleicht auch die Friedensfähigkeit im Nahen Osten?

Imprimatur:
Bruder Thomas - die benediktinische Abtei in Jerusalem ist ein ruhiger, fast stiller Ort, die palästinensische Grenze ist nahe (bis zum chequepoint Bethlehem sind es nur neun Kilometer). Was spürt Ihr Kloster vom Krieg gegen die Palästinenser?

Br. Thomas Geyer:
Zuerst das Einfache: Bis zum Ausbruch der Al Aqsa-Intifada im September 2000 besuchten täglich rund 1 500 Pilger oder Touristen die Abtei. Heute sind es noch fünfzig oder hundert, überwiegend israelische Neueinwanderer oder israelisches Militär. Für die Mönche ist das ein wirtschaftlicher und finanzieller Einbruch. Bis zum Jahr 2000 konnten wir den täglichen Lebensunterhalt und die Gehälter unserer Angestellten selbst erwirtschaften, aber zur Zeit betragen die Einnahmen der Abtei nur noch 7 % der Einnahmen des Jahres 2000. Trotz der wirtschaftlichen Notlage haben wir niemand entlassen, denn niemand könnte mit Arbeitslosenunterstützung rechnen.

Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern bekommen wir häufig akustisch mit, wenn Bethlehem (fünf Kilometer Luftlinie) mit Raketen und Panzerkanonen beschossen wird. Da wir Bethlehem, Beit Jala und Beit Sahour nicht mehr besuchen können, bekommen wir aus diesen Städten andauernd von Freunden Nachrichten, durch das Telefon. Wir können uns ihre Klagen anhören - aber konkret helfen können wir nicht, außer, dass wir Hilferufe an Freunde in Deutschland und an die Medien weitergeben. Diese Ohnmacht macht krank.

Die Abtei auf dem Sionsberg hatte schon immer Kontakt neben Juden in Israel selbstverständlich ebenso mit Palästinensern, und zwar nicht nur mit Christen, sondern auch mit Muslimen. Wie denken Sie über den Konflikt zwischen Israel und Palästina, über Ursachen und Friedenschancen?

Br. Thomas Geyer:
Die Ursachen liegen weit zurück und haben ihre Wurzeln in den drei monotheistischen Religionen und ihren Kulturen; deshalb wird es den wahren Frieden erst geben, wenn die Religionen den Weg der Versöhnung gehen. Sie müssen den Dialog aufnehmen, einander respektieren und einander annehmen; indem sie sich auf Abraham besinnen, zu dem sie sich gemeinsam bekennen. Jeder politische Frieden im Nahen Osten wird davon abhängen. Es ist zu oberflächlich gedacht, wenn man in Europa sagt: Es ist doch auch hier nach vielen Kriegen gelungen, sich mit Nachbarvölkern auszusöhnen - warum nicht auch zwischen Israel und Palästina? - denn die Europäer haben eine gemeinsame Christentumsgeschichte.

Als Scharon im September 2000 über den Tempelberg / Haran al sharif ging, wusste er genau, dass das auch eine Herausforderung gegen den Islam ist. Scharon wusste, dass er Feuer an die Lunte legte. Er wollte den Kampf, um die Stärke Israels zu zeigen. Danach begann die Al Aqsa-Intifada, die zur fast vollständigen Vernichtung der gesamten Infrastruktur der palästinensischen Autonomiebehörde durch die Israelis geführt hat, von Straßen, Elektro- und Wasserversorgung. Diese Infrastruktur war zwischen 1995 und 2000 mit Hilfe der EU aufgebaut worden. Der Wiederaufbau muss nun wieder von Europa geleistet werden, denn die EU hat auf Wiedergutmachung durch den Staat Israel bereits verzichtet. - Die Chance für den Frieden ist in weite Ferne gerückt, denn der Hass ist auf beiden Seiten ins Unerträgliche gewachsen.

Können Christen im Heiligen Land Einfluss nehmen?
Auf welche Weise?

Br. Thomas Geyer:
Sie machen nur 2 % der Gesamtbevölkerung aus, ihre Zahl leidet zudem unter starker Abwanderung. Zum Beispiel leben dreimal soviel Bethlehemer im Ausland als Bethlehem heute Einwohner hat, und zwar fast ausschließlich Christen. Für die palästinensische Bevölkerung bedeutet das die Abwanderung von Intelligenz und Fachkräften. Heute weiß man schon, dass nach dem Ende der Al Aqsa-Intifada wieder eine große Zahl von Christen abwandern wird; damit hat Scharon ein weiteres Ziel erreicht: Palästina auszubluten und in einen Arbeiter- und Bauernstaat zurückentwickeln zu können, der für Israel und seine Wirtschaft keine Konkurrenz bedeutet.

Dennoch haben Christen noch immer starken Einfluss auf die israelische Regierung, auch durch die Staatsverträge zwischen Israel und dem Vatikan. In diesem Falle zahlt sich die Nuntiatur aus. Der Staatsvertrag sieht vor, dass alle Zusagen an die römisch-katholische Kirche (!) auch für die anderen christlichen Kirchen im Heiligen Land gelten. Daher bedeutet für Israel ein Vorgehen gegen den Vatikan zugleich einen Angriff auf das Weltchristentum - und dazu gehören auch die USA. Dass zum Beispiel die Geburtskirche während der 38 Tage der Belagerung nicht durch israelisches Militär gestürmt wurde, hängt mit der Zusage der israelischen Regierung an den Vatikan zusammen, der massiv interveniert hatte. Die katholische Kirche hatte allen unterschiedslos in der Geburtskirche Asyl gewährt.

Können Sie Beispiele nennen, wie christliche Kirchen und Vereinigungen im Sinne direkter Konfliktbeilegung in Palästina und Israel gearbeitet haben?

Br. Thomas Geyer:
Ja, zum Beispiel im letzten April konnte man in Jerusalem die Kirchen auf den Straßen sehen. Innerhalb von zwei Stunden stand ein Demonstrationszug, den der lateinische Patriarch Erzbischof Michael Sabbah, der stellvertretende Griechische Patriarch Aristarchos, der stellvertretende Armenische Patriarch (beides Erzbischöfe) und der Erzbischof der Kopten Abraham, der Erzbischof der Syrisch-Orthodoxen, der Anglikanische Erzbischof und der Lutherische Bischof angeführt haben, alle im Ornat und mit Brustkreuz; dazu ungezählte Kleriker, Nonnen, Ordensleute... die Demonstration zog durch die Stadt Jerusalem zum Amtssitz Scharons und zum US-Generalkonsulat. Im strömenden Regen - betend und singend. Aus vorüberfahrenden Autos wurden die Demonstranten beschimpft ("ihr tötet unsere Kinder!") Aber weder beim Sitz des Ministerpräsidenten noch bei der amerikanischen Behörde öffnete sich irgendein Fenster oder eine Tür. Die Szene wiederholte sich am folgenden Tag: Erzbischof Michael Sabbah fuhr wieder mit vielen Teilnehmern in Richtung Bethlehem, um wenigstens Medikamente abzugeben - die Soldaten am chequepoint ließen ihn lange und vergeblich im Regen stehen und wiesen ihn dann ab. Immerhin waren dieses Mal Fernsehkameras dabei.

Nicht nur Israel, sondern gerade auch Palästina hat bemerkenswert viele deutsche Schulen, vor allem christliche; evangelische und katholische (Ordensschulen). Können Sie uns etwas sagen über ihre Zahl und Bedeutung?

Br. Thomas Geyer:
Es sind soviele, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Am bemerkenswertesten finde ich die Schulen in Ostjerusalem, Bethlehem, Ramallah, Bet Jala, Bet Sahour - die Schneller-Schulen, die Schmidt-Schule, die berühmte Thalita kumi, Schulen der Lassalleaner, der Franziskaner, der Salesianer, der Anglikaner, Pfarrschulen (vielfach gefördert durch den Deutschen Verein vom Heiligen Lande); darunter viele Berufsschulen für Handwerker, Lehrwerkstätten; inzwischen stellen die Muslime die Hälfte der Schüler und Schülerinnen. Es ist kein Wunder, dass die Palästinenser durchschnittlich über hohe Schulbildung verfügen; unglaublich viele sprechen gut englisch, deutsch, französisch. Palästina (3, 5 Millionen Einwohner) besitzt sieben Universitäten; die Universität Bethlehem ist eine Stiftung des Vatikans, die größte (Bir Zeit) wird stark durch die Deutsche Bischofskonferenz gefördert. Die Lutherische Kirche hat unter der Leitung ihres Pfarrers Dr. Mitri Raheb in Bethlehem bei der Weihnachtskirche das Internationale Begegnungszentrum gebaut; dazu gehören Berufsschule (ähnlich wie unsere Lehrwerkstätten), Hauptschule, Realschule, - wahrlich ein Zentrum der Schulung, Ausbildung, Begegnung. 2001 wurde das Objekt, an dem viele Jahre gebaut wurde und das Millionen Mark gekostet hat (viel Geld kam aus Deutschland) eingeweiht. Im Jahr 2002 wurde es so gut wie fast ganz zerstört, durch Panzer und Artillerie, die vorgaben, Terroristen zu bekämpfen...

Und auch dies: Christliche Kirchen haben für viele Sozialeinrichtungen gesorgt, Kindergärten, Krankenhäuser, Behindertenanstalten...

Br. Thomas Geyer:
Auch hier muss man viele christliche Einrichtungen nennen. - Man zahlt bar, wenn man in ein israelisches Krankenhaus aufgenommen werden will, es gibt keine Krankenversicherung. In Palästina haben die Israelis den Aufbau von Krankenhäusern seit 1967 verboten. Die Ambulanzwagen sind deshalb ausgestattet wie kleine Krankenstationen; Ärzte verdienen so wenig, dass man ihren Idealismus bewundern muss (ungefähr 2 000 NIS, also rund 500 EUR im Monat). Muslimische Patienten können sehr oft gar nichts zahlen - was würden sie machen ohne europäische Unterstützung? Trotzdem leidet Palästina natürlich an einem horrenden Versorgungsdefizit. Im übrigen ist dies die beste Versöhnungsarbeit, die wir leisten können: in vielen Einrichtungen lernen sich Christen, Juden und Muslime kennen - und schätzen.

Die Belagerung der Geburtskirche ist gottlob vorbei. Konstruieren wir mal eine ähnliche Schreckensszene in Deutschland: eine Gruppe schutzsuchender Asylanten aus aller Herren Länder - sie sollen zur Abschiebung verhaftet werden - würde in eine Kirche eindringen und sie tagelang besetzthalten, unterstützt von der Kirchengemeinde; draußen würden die Polizei und der Bundesgrenzschutz die Kirche hermetisch abriegeln, niemand dürfe hinein oder heraus, zum Beispiel um Lebensmittel und Medikamente zu bringen, gelegentlich würde jemand durch die Polizei erschossen, einmal brennt ein Stück Dach... Wie würde die Öffentlichkeit in Deutschland oder gar in der Welt reagieren?

Br. Thomas Geyer:
Um das Beispiel wirkungsvoll zu machen, müssten wir vielleicht annehmen, es handele sich um die Besetzung einer Synagoge - in Deutschland (!), nicht einer Kirche, und Asylanten würden durch Juden geschützt. Der Protestschrei in der ganzen Welt wäre außerordentlich laut - mit Recht. Dagegen kam uns hier der Protest gegen das israelische Militär sehr zahnlos vor. Die Geburtskirche ist ja nicht irgendeine Kirche, sondern (mit der Grabeskirche zusammen) das zentrale Heiligtum der Christenheit, weit mehr als der Petersdom. Es ist auch falsch zu behaupten, die Franziskaner seien in der Geburtskirche als Geiseln festgesetzt worden. Ich bin mit einigen von ihnen bekannt und habe mir berichten lassen, dass sie die Geburtskirche unter keinen Umständen verlassen wollten, weil sie vor allem durch das israelische Militär Vandalismus und Massaker fürchteten. Ich bin mehr und mehr der Meinung, dass die christlichen Kirchen in der Welt hier versagt haben. Man konnte nicht erwarten, dass der von Alter und Krankheit gezeichnete Johannes Paul II. nach Bethlehem gereist wäre - wie im Jahr 2000. Aber eine ähnliche Anstrengung der Katholischen Kirche hätten wir uns um den Friedens willen sehr gewünscht.

Warum hört der palästinensische Terror nicht auf?

Br. Thomas Geyer:
Auch das hat mehr Gründe als ich aufzählen kann. Arafat kann schon lange nicht mehr der Terrorgruppen Herr werden, die wie Mafiagruppen organisiert sind, und solange die junge Generation ohne Hoffnung leben muss, ohne Perspektive, ohne Freiheit, ohne menschenwürdigen Lebensstandard werden die Mafiagruppen der Hamas undsoweiter beinah endlos Zulauf haben. Die Jugendlichen, die sich in Selbstmordattentate stürzen, haben alle Hoffnung verloren - und besitzen nur noch den Hass auf den israelischen Staat, den sie für alles Unglück ihrer Familien verantwortlich machen. Selbstverständlich sind diese Selbstmordgruppen nicht repräsentativ für die palästinensische Bevölkerung, die seit 1967 zum Opfer von Gewalt und Korruption gemacht wird. Aber Terror geht wenigstens ebensosehr von Scharon und seinem Militär aus. Hier beraubt sich ein demokratischer Staat seiner eigenen Würde, seiner Rechtsgrundlagen, seiner Moral. Scharon ist der eigentliche Verderber Israels.

Bruder Thomas, Sie stammen von hier und Sie kommen gelegentlich dienstlich nach Deutschland. Was sagen Sie zur Berichterstattung über den Palästina-Konflikt. Ist sie offen? Vollständig? Von Rücksichtnahmen geprägt?

Br. Thomas Geyer:
Vor allem das mächtige Fernsehen scheint mir sehr moderat, als habe man Angst, in Israel als antisemitisch zu gelten. Ich plädiere für die selbstverständliche Unterscheidung zwischen Israelis und Juden, zwischen antiisraelischer und antijüdischer (antisemitischer) Kritik. Das demokratische Israel ist auf unsere scharfe und unzweideutige Kritik angewiesen. Darin sind wir dem Staat Israel vieles schuldig geblieben. Wir dürfen hinter der Kritik der israelischen Friedensgruppen nicht zurückbleiben - viele ihrer Wortführer werden in Israel als Verräter beschimpft, zum Beispiel Reuven Moskovitz und Uri Avnery. Andererseits hört man von wunderbaren Beispielen. Israelische Friedensaktivisten reparieren palästinensische Schulen, räumen palästinensische Schulhöfe auf. Solche Beispiele werden Schule machen - wir wollen sie fördern.


*

Wie arbeitet man in Kriegszeiten in Bethlehem?

Marc Frings (20) aus Andernach arbeitete seit August 2001 in Bethlehem; er wollte dreizehn Monate dort bleiben und im Internationalen Begegnungszentrum Dar Annadwa (http://www.annadwa.org) und an der lutherischen Schule Dar al Kalima den "sozialen Friedensdienst im Ausland" leisten, anstelle des regulären Zivildienstes.

Im Vordergrund stand die Jugendarbeit. "Für die Sommermonate 2002 war eine Ferienfreizeit für 400 Kinder geplant", berichtet er. Nun hofft er, dass bis dahin nicht noch mehr Schaden am Begegnungszentrum und an der Schule angerichtet werden; sie liegen schon jetzt über 350.000 EUR. Schäden, die allein an diesem Institut durch Bombardements und Besetzungen der israelischen Armee angerichtet wurden. (Red).

Imprimatur:
Warum gingen Sie gerade nach Bethlehem?

Marc Frings:
1999 bin ich im Rahmen eines Jugendaustauschs zwischen Andernach und Dimona, einer Stadt im Negev, zum ersten Mal mit Israel in Berührung gekommen. Das Land, die Menschen, Jerusalem - ich war begeistert vom Heiligen Land. Für mich stand fest, dass ich dorthin zurückkehren werde. Als ich bei "SoFiA" ("Soziale Friedensdienste im Ausland") von der Einsatzstelle in Bethlehem, also einer Stadt in Palästina, erfuhr, war ich überzeugt davon, dies als Herausforderung zu betrachten. So konnte ich den Nahostkonflikt eben von einer anderen Seite betrachten und vor allem erleben.

Wie war die Arbeit in Bethlehem, der Kontakt zu den Menschen? Und wie die Atmosphäre, wenn sie nicht gerade vom Krieg dominiert wurde?

Marc Frings:
Ich bewunderte die Menschen sehr für ihren Lebenswillen: Selbst in den schwierigen Zeiten konnte ich niemanden stöhnen oder klagen hören. Die Bevölkerung schien sich an den "Normalzustand Krieg" gewöhnt zu haben. Trotz der alles überschattenden Intifada blieben viele Möglichkeiten, um beispielsweise zu feiern. Ich erinnere mich noch gut daran, als im vergangenen Oktober die israelischen Panzer nach einer zehntägigen Besetzung Bethlehem verließen und gleich am nächsten Tag die Menschen mit dem Wiederaufbau ihrer Häuser und Geschäfte begannen.

Erst in den letzten Wochen, also mit dem Beginn der Luftangriffe gegen Bethlehem, fiel mir auf, dass die Menschen in meinem Umfeld hektischer und unkonzentrierter waren. Man konnte sich nicht mehr völlig in den Arbeitsalltag flüchten, sondern sah sich konfrontiert mit der Lebensbedrohung.

Sie mussten vorzeitig nach Deutschland zurückkehren - warum?

Würden Sie gerne wieder nach Bethlehem gehen?

Marc Frings:
Die Eskalationen rissen bis zum Schluss nicht ab. Bereits Wochen zuvor wurde immer wieder von Besetzungen kleiner Dörfer hinter Bethlehem berichtet. Als ich an Ostern die Stadt verließ, war dies eigentlich nur als Kurzurlaub in Jerusalem gedacht. Doch anschließend war eine Rückkehr unmöglich: Bethlehem wurde nach der israelischen Besetzung zum militärischen Sperrgebiet erklärt, der checkpoint war geschlossen und der Weg über die Felder zu riskant, so dass ich mich gezwungen sah, meinen Aufenthalt in Jerusalem zu verlängern. Mit meiner Trägerorganisation "SoFiA" stand ich schon seit längerem in Kontakt, sie machte sich verständlicherweise Sorgen um meine Sicherheit. Da sie auf absehbare Zeit die Verantwortung für meinen Dienst nicht mehr tragen konnte, beschlossen wir gemeinsam meinen Rückflug, gegen den ich mich zuvor lange gewehrt hatte: Gerade in diesen schrecklichen Tagen sollte ich gehen und meine Freunde und Kollegen im Stich lassen? Ich war sehr traurig über die schnelle Entwicklung, schließlich hatte ich mich nicht einmal verabschiedet. Daher war es ganz wichtig für mich, noch einmal nach Bethlehem zu kommen. Nicht nur, weil meine ganzen privaten Sachen noch in meiner dortigen Wohnung lagen, sondern vor allem, um einen richtigen Abschied nehmen zu können. Doch daran möchte ich im jetzigen Augenblick nicht denken: Die Lebensfreude der Menschen, die Kultur, die Arbeit, mein Umfeld, Kleinigkeiten wie der Markt, mein Bäcker, der Gesang des Muezzin- das alles werde ich in dieser Intensität nicht mehr erleben können.

Wie sind Ihre Kriegserlebnisse, und vor allem die der palästinensischen Familien?

Marc Frings:
Vor allem die Gespräche mit Kindern haben mich schockiert: Sie berichteten mir von Soldaten, die ihre Häuser besetzten und die Familien in nur einen Raum einsperrten, einige wurden ausgeraubt; israelisches Militär wütete in den Wohnungen, stahl den traditionellen Hochzeitsschmuck. Kinder sind in allen politischen Unruhen die ersten Opfer. In diesen Tagen sollte eigentlich "Taugihi" stattfinden, das palästinensische Abitur. Statt ihren Schulabschluss zu schreiben, sitzen Jugendliche nun schon seit Wochen mit ihren Familien in Häusern gefangen, die von Israel verhängte Ausgangssperre erlaubt es ihnen nur für wenige Stunden am Tag, das Haus zu verlassen, um schnell wenige Lebensmittel kaufen zu können. Schon jetzt steht fest: Wenn der Ausnahmezustand wieder zu einer "normalen Krisensituation" übergegangen ist, wird den Menschen das Leben wieder einmal erschwert. So wurden beispielsweise die checkpoints zu regelrechten Festungen ausgebaut, wie mir Freunde am Telefon berichtet haben.

Und Ihre eigenen Kriegserlebnisse?

Marc Frings:
Es klingt unrealistisch: Doch man gewöhnt sich schneller an den Krieg als man sich das vorstellen kann. Eine Zeitlang wurde jeden Abend zwischen Bet Jala, Gilo und Bethlehem geschossen, dann war es wieder für Monate (zu?) ruhig, bis die Eskalation der Gewalt nie dagewesene Dimensionen erreichte, die mit der Zuspitzung in Bethlehem, und hier vor allem in der Geburtskirche einen blutigen Höhepunkt fand. Als besonders düster werde ich wohl die Luftangriffe in Erinnerung behalten: F16- Kampfbomber und Apache- Hubschrauber griffen Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft an, ich musste mich mehr als einmal in den Keller meines Wohnhauses retten. Diese Nächte erinnerten mich sehr an die Fernsehbilder, die ich von den Dresden-Angriffen gegen Ende des 2. Weltkrieges kannte: Motorengeräusche, Bomben, Blitze und Einschläge dominierten jene Nächte. Statt Angst entwickelte sich in mir Wut: Wut auf das überzogene Verhalten der israelischen Armee, Wut auf die scheinbar handlungsunfähige Europäische Union, Wut auf die USA und deren bedinglose Unterstützung...

Man hört von israelischem Vandalismus. Was sagen Sie dazu? Ist das übertrieben?

Marc Frings:
Der israelische Vandalismus wird schon fast zu wenig in den Medien erwähnt. Auch in Kriegszeiten gibt es Rechte und Resolutionen, die es zu beachten gilt. Die israelische Armee hat diese Vorschriften mit Füßen getreten, Soldaten haben in den besetzten Gebieten scheinbar völlige Handlungsfreiheit. Immer wieder wurde davon berichtet, dass Rotes Kreuz oder Roter Halbmond bei Einsätzen behindert wurden, Sanitäter wurden sogar beschossen. In palästinensischen Wohnungen wurde wild zerstört, Küchenutensilien auf den Boden gestreut. Einer Frau in Bethlehem wurde beispielsweise von israelischen Soldaten unterstellt, dass sie Sprengstoff umgebunden hat. Dass die Frau lediglich im achten Monat schwanger war, glaubte man ihr nicht. Es macht mich wütend, dass die Soldaten in diesem Ausmaß handeln dürfen: Sie müssten vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Doch niemand regt sich. Die Diskussion um die UN-Untersuchungskommission für das Flüchtlingslager Jenin macht mir deutlich, dass Israel verzweifelt versucht, eigene Fehler unter den Teppich zu kehren.

So war die Operation "Schutzwall" ganz sicher kein Schlag gegen den Terrorismus, sondern ein ganz bewusster Angriff auf die Zivilgesellschaft. In gut funktionierenden palästinensischen Ministerien wurden wichtige Unterlagen und Dokumente durch Soldaten beschlagnahmt oder vernichtet, Computer und Möbel sinnlos zerstört.

Die Fronten sind verhärtet, Palästinenser sind verbittert:
Hat der Frieden eine Chance? Gibt es noch Versöhnungsbereitschaft?

Marc Frings:
Die israelisch- palästinensische Auseinandersetzung (leider kann man nicht mehr von "Konflikt" schreiben, genauso wenig aber von "Krieg", da im Krieg Kontrahenten gleichberechtigt gegenüberstehen) hat in den vergangenen Monaten eine Dynamik angenommen, die kaum noch übertroffen werden kann: 400 tote und Tausende verletzte Israelis, 1300 tote und Zehntausende verletzte Palästinenser sind nur noch für Statistiker von Bedeutung. Fakt ist: Alle Toten sind einer sinnlosen Gewalteskalation zum Opfer gefallen. Militärisch gesehen kann man konstatieren, dass Israel die absolute Übermacht bildet. Doch von wo soll Rettung kommen? Nach dem 11. September hatte ich gehofft, dass sich die Europäische Union als Gegenmacht zu den USA etablieren wird. Nur wenige Wochen später wurde ich eines besseren belehrt: Leider bleiben die europäischen Staaten Financiers der USA. Dabei könnten Wirtschaftssanktionen gegen Israel viel erreichen, wie ich denke. Das sensible deutsch-israelische Verhältnis darf uns aufgrund der Geschichte nicht mundtot machen.

Die Eskalationen der vergangenen Wochen machen es niemandem leicht, wieder Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren. Ich sehe das am Beispiel einiger Palästinenser, die im Ausland studierten und mit der festen Überzeugung zurück nach Palästina kamen, um dort an der Staatsgründung mitzuwirken. In diesen Tagen müssen sie mitansehen, wie ihr Lebensplan, z.B. der Aufbau einer palästinensischen Zivilgesellschaft, um Jahre zurückgeworfen wird. Doch letztlich ist die größte Gefahr die Hoffnungslosigkeit: Menschen dürfen in diesen Tagen den Mut nicht aufgeben und resignieren. Der Frieden bleibt Ziel auf beiden Seiten, wenn schon nicht auf höchster politischer Ebene, dann wenigstens in der breiten Gesellschaft.

Was erwarten Sie von uns hier?

Marc Frings:
Ich erwarte Protest und Demonstration. Man darf die Rolle des kleinen Bürgers nicht unterschätzen. Wenden wir uns an unsere Bürgermeister, Landtags-, Bundestags- und Europaabgeordnete. Treten wir ein für einen gerechten Frieden! Niemand darf sich seiner Verantwortung entziehen. Gemeinsam können auch wir es schaffen, eine Proteststimmung zu erzeugen, so dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zum Handeln gezwungen wird. Zudem erwarte ich eine stärkere Involvierung der Kirchen: Was im Heiligen Land momentan geschieht, kann höchstens noch als "unheilig" beschrieben werden! Im Gegensatz zu Politikern sind Kirchenfunktionäre nicht diplomatisch gefesselt.

Sie haben Deutschunterricht erteilt, um junge Leute auf ein Berufs-Praktikum in Trier vorzubereiten: Was für Erfahrungen verbinden sie damit?

Marc Frings:
Freude, Spaß und die Erkenntnis, dass junge Palästinenser Interesse am Neuen haben. Neben dem Vermitteln der deutschen Sprache saßen wir oft versammelt um eine Deutschlandkarte. Die jungen Leute wollten wissen, welche Attraktionen deutsche Städte zu bieten haben, wir planten bereits, wo wir uns im Herbst hätten treffen können, eine Einladung in meinen Heimatort war festgeplant. Statt dessen muss ich mich nun fragen, ob es allen Schülern gut geht. Doch versuche ich auch in diesen dunklen Tagen nicht die schönen Augenblicke in Bethlehem zu verdrängen, die eindeutig überwogen!

Die Fragen stellte Hermann Münzel


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© imprimatur September 2002

Vor Gott sind alle Menschen gleich

mali Offline

Senior Mitglied

Beiträge: 335

30.12.2002 02:19
#2 RE:Zwei Zeitzeugen berichten aus Jerusalem und aus Bethlehem Antworten

Link haette auch genuegt aber dann sieht der Eintrag wohl zu duenn aus.

Der Bericht ist an Oberflaechlichkeit, Einseitigkeit und Inkompetenz wahrscheinlich nicht mehr zu uberbieten.

In Antwort auf:
Als Scharon im September 2000 über den Tempelberg / Haran al sharif ging, wusste er genau, dass das auch eine Herausforderung gegen den Islam ist.
Es waren schon viele israelische Politiker davor auf den Tempelberg und hat nichts passiert. Es ist eine Luege wen man so behauptet das der Besuch der Ausloeser war. Die Intifada war lange davor bereits geplant und die Palaestinenser suchten nur nach einen richtigen Zeitpunkt.
In Antwort auf:
eine Gruppe schutzsuchender Asylanten aus aller Herren Länder - sie sollen zur Abschiebung verhaftet werden - würde in eine Kirche eindringen und sie tagelang besetzthalten, unterstützt von der Kirchengemeinde
man kann nur den Kopf schuetteln uber so ein verdrehte Interpretation. Terroristen haben sich in der Kirche verschanzt und in TV wurde auch von "bewaffneten Zivilisten" gesprochen. Die Terroristen wussten genau warum in die Kirche, nicht wegen beten.
In Antwort auf:
Die Jugendlichen, die sich in Selbstmordattentate stürzen, haben alle Hoffnung verloren - und besitzen nur noch den Hass auf den israelischen Staat
Die Jugendlichen werden von Kind auf zu Hass gegen Juden erzogen und ihnen wird der Maertyrertod verherrlicht, das hat nicht mit verlorener Hoffnung zu tun sondern ist das Resultat aus den Indoktrination von den Erwachsenen.
In Antwort auf:
Immer wieder wurde davon berichtet, dass Rotes Kreuz oder Roter Halbmond bei Einsätzen behindert wurden, Sanitäter wurden sogar beschossen. In
Rote Halbmond wurde von Terroristen benutzt um Waffen zu schmuggeln. Auf einer Trage wurde zum Beispiel ein kleiner Junge gelegt und darunter ein 50 kg Sprengstoffsatz. Kinder als Schutzschild, dazu sagt dieser Mensch naturlich nichts.

Weiter habe ich kein Lust diesen Muell zu dokumentieren weil nur auf gleichen Muster der ueblichen Taktik mit zahlreichen Verdrehungen und halben Tatsachen aufgebaut ist.

mali

satan Offline

Senior Mitglied


Beiträge: 511

30.12.2002 02:23
#3 RE:Zwei Zeitzeugen berichten aus Jerusalem und aus Bethlehem Antworten

In Antwort auf:
Link haette auch genuegt aber dann sieht der Eintrag wohl zu duenn aus.


Du hast es erfasst. Kompliment.

In Antwort auf:
Weiter habe ich kein Lust diesen Muell zu dokumentieren weil nur auf gleichen Muster der ueblichen Taktik mit zahlreichen Verdrehungen und halben Tatsachen aufgebaut ist.


Deine Argumentation. Ich glaube aber, diese Menschen wissen, wovon sie sprechen.

Vor Gott sind alle Menschen gleich

mali Offline

Senior Mitglied

Beiträge: 335

30.12.2002 03:33
#4 RE:Zwei Zeitzeugen berichten aus Jerusalem und aus Bethlehem Antworten

In Antwort auf:
Ich glaube aber, diese Menschen wissen, wovon sie sprechen.
und wie sie es wissen:

"...bekommen wir häufig akustisch mit..."

"Andererseits hört man..."

...

ich habe nicht nur "gehört".

Es waren nur Beispiele von mir und ich kann den meisten widersprechen und dokumentieren. Ich habe diesen Bericht auch im TV gesehen und nur mit den Kopf geschuettelt wie dieser christliche Bruder Luegen erzaehlte. Der gesamte Bericht war antiisraelisch auch wen er nicht gesagt hatte und deswegen habe ich auch den Bezeichnung "bewaffnete Zivilisten" erwaehnt. und wen man so einen Mist hoert: "Ich plädiere für die selbstverständliche Unterscheidung zwischen Israelis und Juden" dann sollte man wirklich nachdenken ob man diese Person ernst nehmen kann, oder:
"Das demokratische Israel ist auf unsere scharfe und unzweideutige Kritik angewiesen.".

Man kann mir glauben oder nicht, aber Israel ist wirklich nicht auf so einen Kritik angewiesen. und geht in gleichen Absatz weiter: "viele ihrer Wortführer werden in Israel als Verräter beschimpft, zum Beispiel Reuven Moskovitz und Uri Avnery". Uri Avnery hat nichts bewiesen, keine Vorschlaege die man fur beide Seiten akzeptieren kann und nur prodestiert gegen Israel egal wer an der Fuehrung war und was man unternommen hat. Er hat immer den Augen verschlossen wen arabische Seite nur ablehnten und keine Gegenvorschlaege brachten aber die Augen immer aufgemacht wen Israel in ein Gebiet vorruckte. Fur ihn ist Terror legitim und befurwortet nicht nur diese Terror in der Oeffentlichkeit sondern auch die Lynchmorde der Palaestinenser. Was will dieser weltfremde Mann in Israel erreichen wen er so uber jahrzehnte lang handelt? Von solchen Menschen erwarte ich beidseitigen Kritik, fur beide Seiten akzeptierbare Angebote und diplomatischen Bemuehungen zwischen beiden Seiten aber Uri hat nichts in diese Richtung gemacht.

So kann man den Bericht durchgehen Satz fur Satz und am Ende habe ich ein ganzen Buch geschrieben und trotzdem glaubt man dann nur denen die "etwas hören".

mali


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