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Dieses Thema hat 1 Antworten
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Al Andalus Offline

Senior


Beiträge: 126

09.01.2003 23:27
Anruf aus der Hölle von Uri Avreny Antworten

Zwischen Himmel und Hölle gibt es eine direkte Telefonverbindung.. Ich kann es beweisen.
Dieser Gedanke kam mir letzten Sonntag in den Sinn, als ich einen schneebedeckten Gipfel in den italienischen Alpen erklomm, wo ich Gast einer politischen Konferenz war. Die Sonne schien, die Temperaturen waren um null Grad, rund um mich eine atemberaubende Landschaft weißer Berggipfel. Weit unten zogen Hirten mit ihren Herden zu grünen Weiden.
Es war wie der Himmel auf Erden.
Plötzlich klingelte das Handy. Der Anruf kam aus Tel Aviv, wo das Thermometer auf 32 und mehr Grad hochkletterte. Die Radionachrichten aus Israel, die ich von Zeit zu Zeit hören konnte, berichteten von Getöteten und Verwundeten, von Angriffen und Vergeltung, von Bomben und Bombardements, von Zerstörung von Häusern und Deportationen und am Ende von Fabrikschließungen, Massenentlassungen, wirtschaftlichem Desaster. Wirklich die Hölle!

Meine Kollegen zu Hause riefen mich an, um mir von einer aufregenden Entwicklung zu berichten: an diesem Morgen veröffentlichte "Haaretz" auf seiner Titelseite eine haarsträubende Sensation: "Gush Shalom hat Offiziere bedroht: Wir sammeln Material gegen Euch für Den Haag". (Das war die Orginal-Schlagzeile auf hebräisch. In der Englischausgabe von Haaretz war dies etwas milder ausgedrückt.)
Den Nachrichten nach - so wurde mir erzählt - hat der Premierminister seinem gehorsamen Diener, dem Generalstaatsanwalt befohlen, ein Strafverfahren gegen uns einzuleiten. Der Justizminister Meir Shitreet, ein drittrangiger Politiker, erklärte uns zur "fünften Kolonne". Der Minister für Kommunikation, Rubi Rivlin, von vielen als Clown betrachtet, erklärte feierlich: "Dies ist Verrat!"
Eine Anzahl von Politikern und Kommentatoren begannen mit einer Lynch-Kampagne. Ausdrücke wie "Verräter", "Informant", "Kapo" (die jüdische "Lagerpolizei", die den Nazis in den KZs diente), "Judenrat" (die "jüdischen Komitees", die von den Nazis in den Ghettos ernannt wurden) wurden unbedenklich angewandt.

Und es gab tatsächlich für all diese Aufregung einen guten Grund.
Anfang dieses Jahres entschied die Friedensbewegung Gush Shalom - wie viele Leute in Israel und im Ausland - die Tatsache könne nicht länger ignoriert werden, dass im Lauf der Operationen der IDF (Israelische Verteidigungskräfte) in den Besetzten Gebieten Schreckliches geschieht, was sowohl israelisches als auch internationales Recht verletzt. Einiges davon könnten Kriegsverbrechen sein. Wir vom Gush entschieden, dass wir als israelische Bürger, die die Verantwortung für die Taten unserer Regierung und Armee tragen, die Pflicht haben, unsere Stimme zu erheben und eine ernste Mahnung zu äußern.
Am 9. Januar hielten wir in einer großen Halle in Tel Aviv eine Konferenz über Kriegsverbrechen ab. Verschiedene Professoren für internationales Recht und zwei ranghohe Offiziere (im Ruhestand) waren die Referenten. Einer der Redner war ein Kriegsheld, der Luftwaffenoberst Ygal Shohat, der über Ägypten abgeschossen wurde und ein Bein verloren hat. Mit vor innerer Bewegung zitternder Stimme rief er die Kampfpiloten, seine Kameraden auf, illegale Befehle nicht auszuführen, wie z.B. das Bombardieren von Wohnvierteln.

Alle Fernseh- und Radiostationen und die beiden größeren Printmedien ignorierten die Konferenz, zu der sie eingeladen waren. Es war eindeutig, dass alle angeschriebenen Medien sich entschieden hatten, das Problem mit den Kriegsverbrechen unter den Teppich zu kehren.
Das wurde ganz deutlich, als wir der "Stimme Israels", dem vom Staat geführten Radio-Netzwerk, ein bezahltes Inserat vorlegten, das die Soldaten über ihre Pflicht informierte, die Ausführung von "offenkundig illegalen Befehlen" zu verweigern. Es war buchstäblich die Wiederholung des Wortlauts eines Urteils des Militärgerichtes nach dem Massaker in Kafr Kassem, 1956. Kol Israel weigerte sich, dies zu senden. Wir baten den Obersten Gerichtshof, der Radiobehörde anzuordnen, das Inserat zu senden. Aber der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass er dafür nicht zuständig sei.
Also entschieden wir uns, eine direkte Aktion zu unternehmen. Wir verteilten unter den Soldaten einen Leitfaden, in dem die Verbote nach der Genfer Konvention , die Israel unterschrieben hat, aufgezeichnet waren. Unter diesen waren: Exekutionen ohne Gerichtsurteil ("Liquidationen" genannt), das Schießen auf unbewaffnete Zivilisten, Folter, die Verhinderung von medizinischer Behandlung, das Töten von Verwundeten (genannt: "Bestätigung des Todes"), Aushungern, Deportation.
"Schütze Dich selbst gegen Anklagen im Ausland!" steht im Leitfaden. "Als Soldat in einer Besatzungsarmee bist du besonders der Anklage von Kriegsverbrechen ausgesetzt. Eine strikte Befolgung dieses Leitfadens wird dich vor Verhaftung und Anklage im Ausland bewahren.".
Der Leitfaden schließt: "Soldat, denk dran! Während deines Militärdienstes, sei es als regulärer Soldat oder als Reservist, musst du offensichtlich illegale Befehle verweigern. Wenn du Zeuge eines Kriegsverbrechens warst, ist es deine Pflicht, dies zu berichten."
Zur selben Zeit sandten wir individuelle Briefe an gewisse Kommandeure und warnten sie davor, dass ihre Aktionen in Zukunft zur Anklage vor einem israelischen oder einem internationalen Gericht führen könnte. (Es gibt keinen Verjährung von Kriegsverbrechen). In den Briefen bezogen wir uns nur auf in den Medien veröffentlichtes Material, besonders wenn sich Offiziere ihrer Taten selbst rühmen und sich damit praktisch selbst anklagen.

Kopien wurden an die Medien gesandt, die diese Information wieder ignorierten, auch an den Obersten Militäranwalt, die nicht darauf reagierten.
Wir warnten diese ranghohen Offiziere, dass das von uns gesammelte Material einem israelischen Gericht zur Verfügung gestellt würde, falls zu irgend einem zukünftigen Zeitpunkt das Gericht anfangen würde, seine Pflicht zu erfüllen - oder als letzter Zuflucht dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Man kann vermuten, dass es einer dieser Offiziere war, der die sensationellen Nachrichten an den Militärkorrespondenten von "Haaretz" gab. Das liberale Blatt, das bis zu diesem Tag fast alle Informationen über unsere Aktionen ignoriert hatte ( wie übrigens fast alle Aktionen der Friedensbewegungen), veröffentlichte diese Geschichte als Hauptsensation auf seiner Titelseite.
Die Folge war eine Flut von Diffamierungen. Über die Telefonleitungen von Gush Shalom -Aktivisten kamen nur noch Flüche und Todesdrohungen. Die Radio-Talkshows überboten sich gegenseitig, wer den fanatischsten Extremisten vors Mikrofon bringt und Gäste, die ihn anstacheln und offen unterstützen. Gush-Aktivisten wurden plötzlich zu Fernseh- und Radio-Interviews eingeladen, wo sie mit Interviewern konfrontiert waren, die sich wie Vernehmer von Gefangenen in irgendeinem Geheimdienst-Keller benahmen.
Von allen Verfluchungen, die auf uns geschleudert wurden, war "Informant" der lehrreichste. Dieses Wort gehört zum Ghetto-Vokabular. Als die Juden eine wehrlose Gemeinschaft waren und hilflos den Grausamkeiten der Behörde ausgeliefert waren, wurde ein Jude, der einen andern Juden gegenüber einem Goy (Nicht-Jude) denunzierte, als der gemeinste unter den Gemeinen betrachtet. Die Tatsache, dass dies Wort heute, nachdem es seit 54 Jahren den Staat Israel mit einer der mächtigsten Armeen der Welt gibt, benützt wird, zeigt auf, dass viele von uns noch in der Welt des Ghettos leben. Wahrlich, es scheint leichter zu sein, die Juden aus dem Ghetto zu holen als das Ghetto aus einigen Juden. Die Richter des Internationalen Gerichtshofes erscheinen ihnen wie der Mob von betrunkenen Kosaken, die vorhaben ein Pogrom auszuführen.

Unser Ziel ist natürlich die Vorbeugung und Verhütung. Wir wollen, dass das Thema den Offizieren und Soldaten bewusst wird. Wir hofften, dass sie und ihre Kollegen das Problem mit den Kriegsverbrechen bei ihren Plänen berücksichtigen , dass dies vielleicht der maßgebliche kleine Punkt ist, der im letzten Augenblick die Entscheidung beeinflusst. Wir hatten uns entschlossen, diesen Gegenstand zu einer öffentlichen Sache zu machen, um so Druck auf die politische und militärische Führung auszuüben.
In Wirklichkeit diente - gegen den Willen ihrer Urheber - die Hetzkampagne genau diesem Zweck. Seit einer Woche sind die Kriegsverbrechen zu einem zentralen Thema in der öffentlichen Diskussion in Israel geworden. Kein Offizier oder Soldat kann einer ernsthaften Betrachtung seiner Taten oder Versäumnisse in den Besetzten Gebieten ausweichen. Vielen von ihnen wird zum ersten Mal bewusst, was Kriegsverbrechen sind und wie diese womöglich das eigene Leben beeinflussen.
Von jetzt an wird dieses Thema nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden.


(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
Quelle http://www.freunde-palaestina.de

pappabär Offline

Senior Mitglied

Beiträge: 344

10.01.2003 15:58
#2 RE:Anruf aus der Hölle von Uri Avreny Antworten

Erinnert Euch an meine Worte: Auf Uri Avreny wird man sich irgendwann einmal berufen wenn es um das "Gewissen Israels" geht.
Man kennt es ja z.B. aus der deutschen Geschichte, dass eine "Andere" Meinung insziniert niedergebrüllt wird.
Die Geschichte wird Gush Shalom recht geben, eben weil es Recht ist. Gush Shalom zeigt das der Geist von Yad Vashem lebt: Die Bäume der Allee der Gerechten verteilen ihre Samen. Nach eine ersten "Entrüstung" würde ich den "Kritikern" raten einmal zuzuhören und zu hinterfragen ob es denn wirklich falsch ist was Gush Shalom da tut.

pappabär

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