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 Palästinaonline-Forum
Al Andalus Offline

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Beiträge: 126

28.01.2003 22:51
Ticket to Jerusalem Antworten

Der palästinensische Fernsehfilm von Rashid Masharawi erzählt eine eindrückliche Geschichte aus dem täglichen Leben im Krieg in einem Flüchtlingslager bei Ramallah. Jaber arbeitet als Filmvorführer. Er will Kindern lustige Filme zeigen, die sie wenigstens einen Moment lang glücklich machen sollen. Mit seinem Projektionsapparat reist er in einem klapprigen Auto durchs Land. Seine Frau Sana ist freiwillige Sanitäterin beim Roten Halbmond und fährt mit der Ambulanz mit. Sie leistet Erste Hilfe in den schrecklichen Situationen von Erschiessungen und Bombardierungen. Überall sind zerbombte Häuser und Ruinen zu sehen, und israelische Panzer klettern über Schutthügel im verwüsteten Land. Immer wieder hört man Sirenen von vorbeifahrenden Fahrzeugen.

Und trotzdem: Jaber setzt beharrlich alles daran, dass seine Filmvorführungen zustandekommen. Es braucht viel Aufwand dafür. Wohin er in Palästina auch fährt, muss er lange Umwege in Kauf nehmen, behindert durch die vielen israelischen Checkpoints, und sein vorsintflutliches Auto fällt schier zusammen. Es ist kein Geld da, um ihm einen Lohn zu zahlen. So gibt er sich mit der Erstattung der Benzinkosten zufrieden. Viele, auch seine Freunde, wenden ein: «Die Leute haben nichts zu essen, sie hungern, sind arbeitslos, leben im Krieg. Da kannst du doch nicht einfach Filme zeigen.» Trotzdem helfen sie ihm gerne weiter, der eine gibt ihm eine alte Glühbirne, ein junger Mechaniker repariert sein Auto, und andere setzen ihre Beziehungen ein. Die Freundschaften tragen durch die Notsituation, man hilft sich gegenseitig und nimmt Anteil am Leben der Nachbarn, versucht zu helfen. In der palästinensischen Familie werden Gäste herzlich willkommen geheissen. Es sind oft kleine Gesten, ein ermutigendes Wort, eine freundliche Begrüssung, die so wichtig sind, um das Leben in dieser hoffnungslosen Situation erträglicher zu machen.

Der Film zeigt uns, wie diese Menschen unter unwürdigsten Verhältnissen und in ständiger Lebensgefahr, mit der Angst, dass ihr Haus von den israelischen Soldaten beschossen oder unter einer Bombe begraben wird, ihre Menschenwürde zu bewahren suchen.

Ein lautstarker Ehestreit der jungen Nachbarn von Sana und Jaber eskaliert im Herauswurf des Ehemannes durch die Frau. Schon sechs Monate sei er arbeitslos, und jetzt habe er zu trinken angefangen, weint die Frau. Sie halte es nicht mehr aus. Ruhig steigen Sana und Jaber die Treppe zu ihnen hinauf, nehmen Anteil und sagen: «Beruhigt euch», weisen sie aber auch auf die Unwürdigkeit ihres Verhaltens hin. Sana geleitet die junge Frau ins Haus, und Jaber redet dem aufgeregten Mann ins Gewissen und bringt ihn wieder heim. Etwas später wird man sehen, wie Jaber vom Nachbarn ebenso beruhigt wird, als er wegen erfolgloser Versuche, seinen Film zu zeigen, erbost und verzweifelt ist. Sana hört am Abend ihrem Mann ruhig und gefasst zu, wenn er Sorgen hat, obwohl sie während des Tages miterleben muss, wie Menschen erschossen werden. Das Bemühen um Gefasstheit in der Kriegssituation ist eine grundlegende psychische Überlebenshilfe.

In Jerusalem haben jüdische Siedler einer älteren, kranken Frau das grosse Haus weggenommen und sich selber darin eingenistet. Ihr und ihrer Tochter haben sie gerade ein Zimmer übriggelassen, wo sie nun vegetieren müssen. Die Toilette ist nur über eine Aussentreppe in den unteren Stock erreichbar. Die Frau kann nicht allein gehen, sie braucht jedesmal die Hilfe ihrer Tochter. Die Tochter ist Lehrerin und hat sich für Jabers Kinderfilmvorführungen begeistert.

Der Plan entsteht, in Jerusalem eine solche zu veranstalten. Doch zwischen Ramallah und Jerusalem sind israelische Checkpoints installiert, und der Durchgang, das «Ticket nach Jerusalem», hängt von der Willkür der israelischen Besatzer ab. Nur zu oft muss Jaber wieder umkehren oder Schikanen über sich ergehen lassen, zum Beispiel von Soldaten, die sagen, sie verstünden kein Arabisch, und die nicht gewillt sind, sein Anliegen entgegenzunehmen. Jaber wendet sich an einen Freund, man lässt Beziehungen spielen (obwohl man selbst das Filmprojekt als sinnlos ansieht), und die Vorführung kann nach verschiedenen Bemühungen im Hof des besetzten Hauses stattfinden. Mit Hilfe eines Freundes stösst Jaber ein kleines Wägelchen mit dem Projektor über die unwegsamen Hügel bei Jerusalem. Mit dem Auto durfte er den Checkpoint nicht passieren. Widerstand kann lebensgefährlich sein. Schon fährt ein Panzer bedrohlich auf einen zu, und israelische Soldaten können unberechenbar sein im Gebrauch der Schusswaffe.

Kinder, Freunde, Verwandte und Bekannte versammeln sich im Hof. Alle Stühle werden besetzt, erwartungsvolle Spannung kommt auf. Und siehe da, Jaber hat es geschafft. Die Lehrerin ist begeistert, die Stimmung im Hof ist gut. Einige Momente der Ablenkung, des Gelöstseins von der schweren Lebenssituation. Der Film beginnt. Oben, auf der Galerie, schauen die israelischen Siedler zu. Und da: Einer nach dem anderen bewegt sich unauffällig die Treppe herunter und gesellt sich zum arabischen Publikum. So könnte es doch sein: Verfeindete Nachbarn tun sich für eine gemeinsame Aktivität wieder zusammen. Vielleicht ergibt sich nachher ein Gespräch, vielleicht versuchen beide Seiten die Wunden der anderen zu verstehen, vielleicht ... Es wäre möglich!

Der Film erzählt ruhig, poetisch, ästhetisch - konzentriert in der Person des Filmvorführers Jaber, der ruhig und stetig seinen Weg geht, um den palästinensischen Kindern eine Freude zu machen. Auf der Suche nach einem Vorführraum fängt er keinen Streit an, auch wenn die Leute von einem derart ausgefallenen Projekt nicht leicht zu überzeugen sind. Er geht zu ihnen, spricht mit ihnen und erklärt ruhig und sachlich sein Anliegen. Manchmal muss er nachgeben, dann sucht er zusammen mit seiner Frau und den Freunden einen neuen Weg.

Der Film «Ticket to Jerusalem» ist ein eindrückliches Beispiel, wie Menschen eine Kriegssituation besser überleben können, indem sie aktiv werden und eine Initiative starten, mit der sie einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Jaber gibt nicht auf. Er findet auch immer wieder Zuspruch und Unterstützung, vor allem durch seine Frau. So verfallen die beiden nicht der Hoffnungslosigkeit, sie werden nicht depressiv, obwohl sie die Trauer immer wieder überflutet. Sana hat Sehnsucht nach ihrer Heimat in Israel, von wo ihre Familie vertrieben worden ist. Ihre Eltern leben in einem anderen Flüchtlingslager. Ihr Mann muss ihr dann vor Augen führen, dass er nun alles für sie ist: Eltern, Familie, Ehemann.

Die Bilder und Szenen des Films «Ticket to Jerusalem» sprechen den Zuschauer, der mitlebt, gefühlsmässig zutiefst an. In ihnen lebt ein Vorbild; das Vorbild eines Menschen im Krieg, der fest gewillt ist, anderen Gutes zu tun und sich durch keine Hindernisse davon abbringen lässt. Sana und Jaber schaffen sich mit ihren Hilfeleistungen einen Lebenssinn im elenden Alltag dieses Krieges. Ihre Anteilnahme an anderen traurigen Schicksalen, das Gelingen der Vorführungen und die Freude darüber sowie die gemeinsamen Zusammenkünfte haben eine ermutigende Ausstrahlung auf ihre Nachbarn und Freunde. Und für uns ist es ein lehrreiches Beispiel in eine ungewisse Zukunft hinein.

Arte, 18. 1. 2003, 22.35 Uhr


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