Heute ist der letzte Tag des Ramadan 2002, u. nach wie vor hält Israel seine jahrzehntelange illegale Okkupation von Westbank u. Gaza aufrecht. Israelische Soldaten töteten 2 Palästinenser in der Westbank-Stadt Khalil (Hebron). Diese Stadt steht schon seit Jahren unter De-facto- Ausgangssperre. Raketen aus einem Apache feuerten auf Gaza-Stadt. Währenddessen machten im Gazastreifen israelische Bulldozer weiter Häuser von Palästinensern platt. In Teilen des Gazastreifens sowie in der gesamten okkupierten Westbank wurden tausende Palästinenser einen weiteren Tag unter Ausgangssperre gehalten.
Letzte Woche starben in der Palästinenserstadt Khalil 12 israelische Soldaten. Israels Regierung belog die internationale Gemeinschaft, behauptete, es hätte sich bei den Opfern um Gläubige gehandelt. Dieses Täuschungsmanöver verfolgt den Zweck, Israel als Opfer zu stilisieren - tote Unschuldige - man soll denken, hier gehe es um Religion u. nicht um Politik. Eine Taktik, die Israel schon seit 50 Jahren verfolgt: die erfolgreichste Propaganda-Kampagne der Geschichte. Die illegalen israelischen Siedler von Khalil werden von 2000 israelischen Soldaten bewacht. Baruch Goldstein, ein Siedler aus Amerika u. ausgebildeter Arzt, hat am 25. Februar 1994 29 Muslime in der Ibrahimi-Moschee ermordet. Die Muslime lagen gerade ausgestreckt am Boden, ins Gebet vertieft, als er zuschlug u. sie tötete. Goldstein wurde im Verlauf der Aktion selbst getötet. Heute erinnert ein spezielles Ehrenmal an ihn. Tausende Zionisten haben das Mal schon besucht u. Goldstein die Ehre erwiesen. Sie finden, seine Tat war eine Heldentat u. kein krimineller Akt.
In Khalil haben die Israelis gerade 15 Verfügungen über Häuserzerstörungen an palästinensische Familien verteilt. Man läßt den Familien gerade mal 48 Stunden Zeit. Viele dieser Familien sind arm u. wissen nicht wohin. Die wahre Absicht hinter diesen Häuserdemolierungen ist, noch mehr Raum für illegale israelische Siedler zu schaffen. Zudem soll dadurch die ‘Transfer’-Mission, also die Vertreibung der Palästinenser aus dem okkupierten Palästina, beschleunigt werden. In Khalil leben 400 Siedler neben 170 000 Palästinensern - also eine palästinensische Stadt. H2* wird seit Jahren unter Ausgangssperre gehalten. Und die 4000 israelischen Soldaten u. 400 Siedler unter Waffen breiten sich weiter aus.
Beim Fastenbrechen in der 27sten u. wichtigsten Nacht des Ramadan erzählt mir ein Mädchen mit großen Augen, was ihren Freunden am Tag zuvor passiert ist. “Sie sind heute Nacht obdachlos”, erzählt sie, “sie können nur noch bei andern Leuten bleiben”. Das Haus, in dem ihre Freunde gewohnt hatten, stand in der Nähe einer illegalen israelischen Siedlung im Norden des Gazastreifens, ein 5-stöckiges Gebäude, 2 Familie auf jedem Stock. Israelische Soldaten kamen u. bellten durch den Lautsprecher: “Raus aus euern Häusern, sofort!”. Diejenigen, die gehorchten, sind noch am Leben aber obdachlos. Einer gehorchte nicht, ein Gehörloser, der das Gebrüll nicht gehört hat. Er ist jetzt tot.
Die konstanten Häuserzerstörungen sind weder zufällig noch sind es simple Reaktionen auf palästinensische Aktionen. Hört man sich aber die Rede von Israels “Verteidigungsminister” Netanjahu an, klingt das, als hätte der taube Mann einen Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung geplant, als hätte er seinen horrenden Tod wirklich verdient. Netanjahu sprach in seiner Rede auch über “Präventivschläge”. Netanjahus Position: Ob es der internationalen Gemeinschaft nun gefällt oder nicht - jeder, der sich nicht offensichtlich im Kotau gegenüber Israel u. den USA übt, muss sich auf willkürliche Angriffe gefasst machen. Dies sei eine Realität, mit der wir uns gefälligst auseinanderzusetzen hätten, denn sowohl Israel als auch die USA weiteten dieses Vorgehen in Zukunft aus.
Zweck der Häuserzerstörungen ist es, die Existenz der Palästinenser leugbar zu machen u. gleichzeitig mehr Raum für den Staat Israel zu schaffen. Was wollen die Israelis? Alles. Sie werden nicht stoppen, bevor sie nicht ganz Palästina haben. Ein gemeinsamer säkularer Staat würde die Situation nur noch verschlimmern - auch wenn vielen das nicht klar ist u. sie die Idee begrüßen. Aber welche Hoffnung hätten dann die Flüchtlinge? Was würde aus deren ‘Rückkehrrecht’? Die Geschwindigkeit, mit der die Siedlungen errichtet werden, verdeutlicht: hier soll eine (palästinensische) Realität vernichtet werden, um gleichzeitig die (israelische) Mythologie an deren Platz zu etablieren. Die Fakten, die vor Ort geschaffen werden - in der besetzten Westbank u. in Gaza - werden dort bald das gleiche Israel zustandegebracht haben wie innerhalb der Grenzen von 1948. Dort wurden die palästinensischen Städte ja dem Erdboden gleichgemacht, u. die Israelis, die heute in den darüber errichteten Städten leben, leugnen deren frühere Existenz schlichtweg. Ein Freund von mir besuchte sein Heimatdorf, in dem seine Familie über Generationen hinweg gelebt hatte, bevor sie vertrieben wurde. Eines Tages hatte mein Freund Arbeit in ‘Israel’ (eine schwierige Sache, das brauch’ ich nicht zu betonen). Also ging er in den Ort, wo früher sein Haus gestanden hatte. Ein Mann (Israeli) in der Nachbarschaft leugnete die Möglichkeit, dass hier früher mal Palästinenser gelebt haben könnten - an diesem Ort, der heute ‘Tel Aviv’ genannt wird. Aber viele Rafah-Flüchtlinge stammen ja von hier. Der Israeli sagte: “Nein, nein, das ist mein Land und nur meins”. Mein Freund zeigte ihm aber den Schlüssel zum Haus seiner Familie.
Zwei meiner Freunde waren im Park u. hörten mit an, wie eine israelische Lehrerin, die eine Gruppe Schulkinder herumführte, diesen Folgendes erklärte: Vor der Gründung Israels habe es im Land kein Wasser gegeben u. auch keine Menschen.
Die Infrastruktur, das Herzblut des okkupierten Palästina, sie sind dabei, vernichtet zu werden. Heute ist der letzte Tag des Ramadan - das Ende eines heiligen Fastenmonats, das mit einem dreitägigen Fest begangen wird. Und genau heute feuerte in Gaza-Stadt ein Apache-Helikopter made in USA vier Raketen auf das Landwirtschaftsministerium ab. In vielen Regionen des Gazastreifens ist es den Palästinensern von Israel verboten worden, ihr eigenes Land zu bebauen. Ein einsamer Männerstiefel liegt verkohlt im schwarzen Schlamm - mitten in den Trümmern jenes Zimmers, in dem der Mann sich aufgehalten hat. Der Mann war Sicherheitsbeamter, u. er hatte geschlafen, als alles geschah. Seine Frau trägt jetzt schon Schwarz. Sie steht klagend neben einem Baum. Drei Autos sind ebenfalls von Raketen-Munition durchsiebt. Das Gebäude selbst ist kollabiert. Die palästinensische Polizei sammelt alle nicht völlig zerrissenen Papierfetzen, die noch im Raum herumliegen, ein. Die Wände, die stehengeblieben sind sowie die herausgesprengte Tür sind übersät mit Löchern. Es gibt Leute, die behaupten, das hier sei ein fehlgeschlagenes Attentat der Israelis, es hätte in Wirklichkeit einen ranghöheren ‘Feteh’ (Fatah-Mann) treffen sollen. Israels ‘gezielte Attentate’ - gemäß internationalem Recht sind sie illegitim -, verfehlen oft ihr Ziel; sie töten viele Menschen im Schlaf oder töten Passanten, die nichts weiter tun, als auf ihrer eigenen Straße spazierengeh’n.
Gestern in der Nähe des Checkpoint Eretz im Gazastreifen eröffneten israelische Soldaten das Feuer auf eine Gruppe palästinensischer Taxifahrer. Einer der gerade dabei war, Fahrscheine zu verkaufen, wurde getötet. Letzte Nacht flogen zwei Apaches ganz dicht u. ohne Lichter über unser Haus. Sie kamen so nah, dass sie alles genau erkennen konnten. Vielleicht haben viele andere das auch so gefühlt wie meine Freunde hier: die Leute im Landwirtschaftsministerium z.B.; vielleicht haben sie gespürt, die kreisenden Apaches haben es auf uns abgesehen, werden gleich angreifen. Aber Gaza ist nunmal ein Gefängnis. Es gibt keinen Ort, an den man sich hinflüchten könnte. Jeder Mensch u. jeder Ort hier sind potentielle Ziele. Oder denken wir nur an die Menschen in Khalil, die jetzt noch genau 48 Stunden haben, ehe ihre Häuser von israelischen Bulldozern abgerissen werden. Zwei Tage, um zu flüchten - aber wohin?
Kristen Ess, Gazastreifen, Okkupiertes Palästina, am 4. Dez. 2002
Anmerkung d. Übersetzerin
*H2 = von Israel kontrollierter Teil Hebrons
Die Zerstörung eines Hauses eines "Terroristen" bedeutet , da es sich , grade im Gazastreifen , wo Menschen auf extrem engem Raum zusammengepfercht leben müssen , meist die Zerstörung mehrstöckiger Gebäude und damit die kollektive Bestrafung zig unschuldiger Familien.